Mittwoch, 7. März 2012

Manierismus, Baby – Aufstieg und Fall der Stadt Bilderbuch.


Is this possible in this country? – Bilderbuch auf Tour.
Beinhartes Deutschland (und auch ein bisschen Österreich), Februar 2012.

Liebe Freunde und Innen, geschätzte Leserschaft,

ich möchte gleich zu Beginn meiner eindringlichen Ausführungen eine Lanze, gar einen Speer brechen. In den letzten Tagen und Monaten bekam ich Berge von Säcken voller Schmetterlinge, Liebesbekundungen und derlei wirres Zeugs, unter all dem doch eine, für mich, erfreuliche Erkenntnis brach liegt: Es gibt tatsächlich eine Schar an LeserInnen, von Leipzig über Jena bis ins hinterste Hinterland von Vorderstoder, den oberösterreichischen Niederungen ins verdarbte, städtische Umfeld von Wien, die sich meine manieristischen (!) Ergüsse über das bunte Treiben der 4 Verrückten in das Gehirn zerren. Dazu ein geschenktes Danke. Der Schmetterlingshaufen bleibt auf jeden Fall in meinem Besitz!
Unter dem Aspekt der eigentlichen Angelegenheit fiele mir sozusagen der Holzdeckel auf dem Kopf: Die Masochisten von Bilderbuch zogen wieder aus. Diesmal jedoch nicht, wie Sie annehmen mögen, für ein paar Stelldicheins, sondern gleich für 9 (in Zahlen: 9) Verbreitungen am Stück – in a row – aufeinanderfolgend – ohne Pause. Was sich auf den ersten und zweiten Les geisteskrank anhört, bleibt es auch beim dritten. Nichtsdestotrotz, ich bin mir meiner Pflicht, Sie davon zu unterrichten, in himmelhochjauchzenden Maße ergeben und beginne synchron den Auftritten entlang. Zu Ihrer eigenen Verteidigung muss ich jedoch anmerken, dass ich kein Spinner bin, daher wurde im Nachhinein an manchen Stellen gekürzt.
Peter bereitet sich auf die 9-tägige Odyssey vor. © Corinna Maier.
Atomic Cafè, München; Dvorana Rocks, Bleiburg (Kärnten); Heimat, Regensburg – Auf der Suche nach dem Gold, 10.02.2012-12.02.2012.

Stellt man sich Dreieinigkeitsmoses als Armleuchter vor, so muss man davon ausgehen, dass der Peter ein Kammerjäger ist. Ein kammersingender Jäger, der keine Ratten oder and’re Kuscheltiger fängt, sondern der praktisch in jeder Sekunde seiner Zweisamkeit einen edlen Tropfen im Schlepptau mitführt. Manchmal wundert man sich schon, woher der kleine, süße Bub, dessen stattliche Brustbehaarung aller Wahrscheinlichkeit nach nur aufgemalt ist, diese magnetische Wirkung auf Hochgefährliches ausübt, trotz allem ist dieser Umstand ein beachtlicher, will man die nächsten Zeilen in ihrer Grundstruktur verstehen.
Pete begleitet uns in sein Reich. © Corinna Maier

Nach einem wunderbaren Konzert im wahren Stern des Südens, dem Atomic Cafè, vor einer schickerierenden Meute, als Anheizer der Gruppe „This is the Arrival“, kommt der Bus der Verrückten im kärntnerischen Bleiburg an. Arriving sozusagen. Mitten im Nichts. Umgeben von prächtiger, weißer Substanz, die Grünes, leicht Sprödes überdeckt.
Wichtig zu erwähnen ist hier die Tatsache, dass der größte Holzfäller von allen, Maurice, den sprichwörtlichen Teufel im Fuß sitzen hat (zumindest behauptete er das immer wieder), somit seit Monaten nur mithilfe zweier Staberln, die ich im Laufe der Woche immer als Schwertersatz missbrauche, stehen, geschweige denn sich bewegen kann. Alaskawolfjoe auf vier halben Haxen, sozusagen. Dass dieser Umstand das komplette Gefühl der Konzerte auf den Kopf stellen sollte, entpuppte sich als unwahr, spätestens auf der Bühne hatte keiner mehr einen lauten Hauch einer Ahnung davon, dass der Derwisch eigentlich kaum gehen konnte.


Nun gut, nicht zu sehr verblumigen, lassen Sie mich wieder aufs Wesentliche zurückboarden: Das kärntnerische Publikum war, entgegen aller stereotypen Meinungen, ein sehr wohlerzogenes, auch die restlichen Kappellen dieses jugendlichen Pfarrheimfestes sollten uns in Erinnerung bleiben, wobei sich die lässige Coverversion eines David Guetta Krachers, der von einer aufreizenden Dirne handelt, sich mir nachhaltig ins Gehirn gefräst hat. Meine vollste Hochachtung dafür.
Mit großen Schritten nähert sich die Bande dem Höhepunkt. © Corinna Maier.
Der wahre König unter diesen drei Konzerten stellt sich aber nach und nach als eine Art Homecoming heraus: Die Heimat (tatsächlich, so heißt der Schuppen) im verregneten Regensburg (ein Schenkelklopfer zur Abrundung). Unvergleichlich die unheimlichen Qualitäten des Barkeepers (sowohl im FIFA12 spielen als auch in seinem eigentlichen Metier), unvergessen auch die Nacht des roten Kleides. Weil die Heimat ein Lokal ist, in dem alles heimatlich geregelt ist, schläft die Gruppe, so viel Konsequenz muss sein, in der Heimat des Heimat Betreibers – nämlich in dessen Wohnung über dem Club. Dass diese Idee verheerende Ausmaße annehmen kann, dürfte Ihnen, bei näherer Betrachtung der vier Holzfäller, bereits aufgefallen sein, wenn nicht, so gratuliere ich Ihnen und schicke einen Strauß Schmetterlinge. Keineswegs möchte ich hier den Eindruck erschlafen, dass wir uns aufführten wie die Hühner, nein nein, viel lieber ist mir zu erwähnen, dass Konstable Peter Schmidt plötzlich in ein rotes, aufreizendes Kleidchen schlüpfte, was wiederum eine Brücke schlägt zum zuvor angesprochenen David Guetta-Klassiker und der magnetischen Wunderwirkung des Bassisten. Sie sehen, die Band Bilderbuch läuft bereits in diesem Abschnitt mit gewaltigen Schritten auf die Klimax zu – Erlauben Sie mir, das als „Aufstieg“ zu betiteln.

Nahe am Unglück, doch noch schreiend. © Corinna Maier.
Kulturcafè, Mainz; Indiego Glocksee, Hannover; Sweat Club, Leipzig; - Vor allem aber achtet scharf, dass man hier alles dürfen darf, 13.02.2012-15.02.2012.

Im Kontext dieses Torsos ist, so scheint es, nicht allzu viel verboten: Da fährt ein Blinder mit Krücken auf Tour, da schlüpft der Feuerwehrmann ins Ballettkostüm und irgendwann später wird die Gruppe von einem offensichtlich etwas verwirrten Radiomoderator „Bildband“ getauft, um in gleichen Atemzug über volle Kirchen zu schwadronieren: Sie sehen, in diesem Land ist alles möglich. Bleiben wir also auf dieser Schiene und fahren schurstracks kopfüber in den sandigen Abgrund. Beileibe kein Kuhschlecken ist die Universitätsstadt Hannover (man bekommt in Deutschland einfach das Gefühl, dass JEDE Stadt eine Universität beherbergt, das Prädikat „studentisch“ ist demnach nichts wirklich Auszeichnendes). Habe ich den vorhergehenden Absatz noch als Aufstieg beschrieben, so ist dies mit Sicherheit der endgültige Höhepunkt. The toppermost of the poppermost, sozusagen. Eine schier ausbeuterische Meute an studentischen Leuten im Glocksee, mit Nachdruck das, wenn wir schon von Kapitalismus sprechen, erhebendste Konzert der deutschen Reise; angeführt vom Trekker-Johnny, ein liebenswürdiger und fürsorglicher Veranstalter, der uns reihenweise innig umarmt, Liebesschwüre loslässt und vor Rührung vergisst, seinen übermächtigen Cowboyhut runterzunehmen. Es könnte natürlich auch sein, dass er ihn einfach angeklebt hat - dazu gebe ich jedoch keine Stellungnahme ab.
Einleitend und sinnbildlich für den (Zer-)Fall der Bande ist definitiv folgende Szene: Um halb 6 Uhr früh, nach gerade mal einer Stunde Schlaf begibt sich das Reisekorsett in den Bus gen Leipzig, um dort ein Radiointerview für Mephisto zu geben. Weil Zechprellerei in uns’rem Staate zur Mütze verpönt ist und uns unsere eigenen Gesetze so bald noch nicht auf den Kopf fallen dürfen, ziehen wir die Banane durch. Ein unmögliches Unterfangen eigentlich, denken Sie, aber nein, Bilderbuch sollen schon in die Geschichte eingehen als hardest working band in showbusiness. Die ersten Sporen sind allerhärtestens verdient. 
The hardest working band in showbusiness - nach James Brown. © Corinna Maier.

Doch der aufmerksame Beobachter merkt es bereits hier: Beginnt die Last der harten Arbeit und des ausufernden Lebensstils bereits mit großem Knabbern an der Truppe zu nagen? Kann der Maulwurf in der Schießbude vor lauter Salat den Rucola nicht mehr sehen?
Das letzte Aufbäumen gegen die drohende Verdammnis aus Deutschland:

Privatclub, Berlin; Schlachthof, Wels (ÖÖÖÖ); Club Zwölfzehn, Stuttgart; - Show me the way to the next whiskey bar, 16.02.2012-18.12.2012.

Glauben Sie mir, geschätzte LeserInnen, eine Woche Tour schmiert Ihnen einen ordentlichen Abdruck ins Gesicht, man habe das Gefühl nicht mehr loszuwerden, selbst ein halbwegs „normales“ Wort rauszubringen bedeute die Welt aller Anstrengungen. Nach hirnlosem Gebrabbel im Bus bin ich zuerst einmal trappiert in der, definitiv vorhandenen, Aura Berlins. Kein Mensch dreht sich so schnell um die eigene Achse wie diese erbarmungslose Stadt. Hingebungsvoll spielt die Gruppe ihre Hommage ans Eingemachte, angeheizt von den freundlichen Österreichern „Stereoface“, die augenscheinlich It-Girls ziemlich verachten dürften, aber eine erfrischende Atmosphäre in das allmählich zusammenkrachende Leben hineinpflanzen. Nächsten Tag stehen wir erstmals vor Gericht: Hello Austria, Hello Bilderbuch! Wenn die nicht regensburgerische Heimat ruft, stehen wir prompt auf der Matte - let’s call it a comeback, auch wenn ich hiermit vielleicht unsere Spuren ein klein wenig zu groß bemesse. In der darauffolgenden Nacht darf ich endlich wieder in einem mir vertrauten Bett schlafen und bin hervorragender Dinge, die 8 Tage mit einem letzten Schuss toppen zu können. 
Geht da noch was? - Ein letztes Aufbäumen in Stuttgart. © Corinna Maier.
Und mein lieber Herr Schwan, geschätzte/r LeserIn, alles gerade beschriebene können Sie sich eigentlich sofort wieder hinter die Binde kippen und alsbald vergessen, denn was uns Herren in Stuttgart wiederfuhr, erinnert mehr an einen Hurrikan. Mitten im Auge der Katastrophe lebt es sich allerdings recht leicht, so erlebt man den moralischen und körperlichen (Zer-)Fall mit einem anderen Fell. Ich habe eingangs erwähnt, dass Peter ein singender Kammerjäger sein soll. Nun muss ich dies revidieren: Irgendwann wurden wir alle zu solch wundersamen wie –baren Geschöpfe und gingen ohne kurzer, grüner Flüssigkeit keinen Schritt mehr. Wenn dazu noch ein Anheizer mit auf Reisen geht (in diesem einen Fall privilegierten wir uns dazu, Partymann Leitner mitzunehmen), ist dem Ende kein Ende mehr zuzusetzen. Was Stuttgart bzw. diverse Rezeptionisten und Hotelmitarbeiter von uns an diesem Abend gesehen hat muss es ganz schnell vergessen. Es war das extreme Spiel von Gott mit Bilderbuch.

Andreas Födinger.